Per Tandem unterwegs in Sudamerika, Neuseeland und Europa!
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Friday, 10 June 2005
Crozant ? Am Ufer der Creuse: Schlosstage
Mit frischem "Baguette Vienne", eine Art Gipfeli in Baguetteform und knusprigem Vollkornbrot verliessen wir Crozant. Nach Eguzon schlugen wir wieder die Himmelsrichtung Westen ein. In welligem Auf und Ab, vorbei an zahlreichen Seelein, erreichten wir St. Benoit du Sault, welches uns mit einer charmanten Altstadt uberraschte. Gegen Abend gelangten wir nach A., wo Freunde der Madame D. wohnen und wir ubernachten konnen. Sie habe uns bereits angemeldet, wir sollen einfach beim Haus mit den Turmen anklopfen. Schon als wir auf das Dorf zufuhren, sahen wir das "Haus" durch die Baume schimmern - ein wahrschaftes Schloss mit riesigem Park! Mit Herzklopfen schoben wir das Tandem uber das Schotterstrasschen zum Chateau, das plotzlich in der ganzen Grosse vor uns stand. Zu unserer Ueberraschung erwartete uns aber kein Prunk und Luxus. Ein kleines Holztafelchen an der Strasse trug den Namen des Schlosses, kein Zaun oder Tor versperrte den Weg. Abgesehen vom pittoresken Gebaude mit Turmen und Kaminen wahnten wir uns eher auf einem alten Bauernhof. Die Schlossherrin begrusste uns scheu in ihren alten Arbeitskleidern. Per Velo begleitete sie uns zur ehemaligen Muhle am Fluss, am anderen Ende des Anwesens, wo wir die Nacht verbringen durften. Der Versuch, aus der hubschen Muhle ein Ferienhauschen zu machen, blieb offenbar fruher mal auf halbem Weg stehen. Inzwischen war das Innere durch einen Wasserleitungsbruch und eingedrungenes Hochwasser in sehr marodem Zustand. Der modrig-schimmlige Geruch war zu intensiv, wir stellten schlussendlich das Zelt zwischen Muhlekanal und Fluss auf. Ein ideales Zeltplatzchen, aber wir hatten erst etwas Hemmungen, nicht im angebotenen Haus zu ubernachten. Das Schloss war aber soweit weg und Baume versperrten die Sicht, sodass dies wohl niemand merkte. Im Schlafsack drehten sich unsere Gedanken noch lange um das Schloss. Wie ist das wohl, wenn man so eine Anlage sein Eigentum nennt? Wir konnen uns so etwas nicht mal in den kuhnsten Traumen vorstellen. Die Beiden besitzen ein richtiges Schloss und leben einfach so darin, wie wenn sie in einem alten Hauschen auf dem Lande wohnen wurden, keine Spur von Reichtum.
Am rauschenden Bach schliefen wir herrlich, bis uns die Morgensonne weckte. Die Muhle und ihre Umgebung waren ein fantastischer Ort. Es stimmte uns etwas traurig, dass daraus nicht mehr gemacht wurde, aber offenbar fehlt es hier schlicht und einfach an Geld. Das Ehepaar hatte uns zum Morgenessen auf das Schloss eingeladen. Wir waren sehr gespannt, was uns da im Innern erwarten wurde. Einmal ein "lebendiges" und nicht museales Schloss von innen sehen zu konnen? Oder besser nicht zu viel erwarten, nach dem was wir schon gesehen hatten? In der Morgensonne lag das Gebaude majestatisch in der Parkanlage, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. Der Wald war verbuscht, die hufthohen Wiesen unpassierbar, die Oekonomiegebaude hinter den Baumen verfallen. Dennoch naherten wir uns ehrfurchtsvoll dem geschichtstrachtigen Ort. Verlegen begrussten uns die Eigentumer. Der Flur hinter der kleinen Ture, die sicher einst nicht der Haupteingang war, hatte gerade so gut zu einem einfachen Bauernhaus gepasst. Alte Arbeitskleider, Stiefel und Gerumpel standen rum, alles andere als ein pomposer Empfang. Wir wurden durch die alte Kuche in den oberen Stock in den Esssaal gefuhrt. Verstohlen blickten wir im Vorbeigehen herum, ohne zu neugierig zu wirken, obwohl wir vor Neugierde fast platzten. Was wir da aber in unseren Augenwinkeln erspahten, war unglaublich. Eine Mischung aus Abglanz des fruheren Luxus, Gerumpelkammer und Brockenhaus, in diesem Sammelsurium hatten wir stundenlang rumschauen konnen. Gleichzeitig erschreckte uns der Zustand des Gebaudes. Tapetenfetzen hingen von den Wanden, in den Ecken schimmelte es, in der chaotischen Kuche stapelte sich das Geschirr. Alles wirkte schmuddelig, bis hin zu den lochrigen Pullovern der Gastgeber. Dabei waren es so liebenswurdige Menschen, die fur uns alles gemacht hatten. Die hagere, abgearbeitet wirkende Frau und der wohlbeleibte, krankelnde Herr wirkten keineswegs wie Konige, irgendwie war die ganze Szene recht surreal. Der Esssaal war ein grosser Raum mit hoher, holzerner Decke. Wandteppiche, silberne Kerzenstander, antike Mobel und ein fast antiker Fernsehapparat, dazu uberall Krimskrams. Auf dem grossen Tisch in der Mitte lagen Briefstapel und Medikamentenschachteln. Diese wurden etwas zur Seite geschoben, damit dazwischen die Porzellanteller und das Silberbesteck Platz fanden. Zum Morgenessen erschien ein weiteres Ehepaar, er von enormer Leibesfulle und sicher doppelt so alt wie die hubsche junge Frau mit Diamantring. Sie residieren in einem Schloss in der Nahe und unterhielten sich uber Auktionen und Antiquitaten. Ob sie wohlhabend und adlig waren oder nur so taten, wurde uns nicht klar. Es war eine illustre Gesellschaft, die da an der grossen Tafel sass. Wir gehorten zwar zum Fussvolk, riefen aber offenbar mit unserer Tour durch die Anden Hochachtung hervor. Bevor wir uns verabschiedeten, zeigte die Schlossherrin uns noch kurz die beiden anderen grossen Raume auf diesem Stockwerk. Sie schienen weniger benutzt und hatten eher musealen Charakter. In der Bibliothek standen stumm reihenweise alte Bucher mit Lederumschlagen wie ein reichhaltiger Schatz. Der Gesellschaftssalon mit den alten Sesseln, Sofas, Leuchten und Bildern wirkte beeindruckend. Wir versuchten noch etwas uber die Geschichte des Schlosses zu erfahren, nach zwei kurzen Antworten war uns aber klar, dass dies kein erwunschtes Gesprachsthema ist. Wahrscheinlich schamen sie sich fur den heutigen Zustand des Schlosses und ihre sehr offensichtliche "Armut". Madame D. erklarte uns spater, dass es viele Schlossbesitzer gabe, die seit Generationen das Schloss als Familienbesitz haben, kaum flussige Finanzen besitzen und das ganze Leben dafur krampfen, den grossen Besitz halbwegs zu unterhalten und damit der Familie zu erhalten. Sie habe uns sehr bewusst zu ihren Freunden im Schloss A. fahren lassen, um uns zu zeigen, dass es nicht nur versnobte Schlossbesitzer gabe. Viele Schlossbesitzer seien ganz "normale" Menschen, denen das Schloss eine grosse Last sein kann. Reiche Amerikaner, Englander oder Pariser wurden sofort Interesse an einem solchen Anwesen zeigen, die Familienehre lasst einen Verkauf aber nicht zu. So sahen wir auch auf unserem weiteren Weg durch das Zentrum Frankreichs viele heruntergekommene Schlosser in traurigem Zustand. Verwilderte Parkanlagen, uberwucherte Fassaden, lochrige Dacher, riesige Oekonomiegeaude oder Bauernhofe (die oft zum weitlaufigen Besitz gehoren) in Trummern. Schade fur diese geschichtstrachtigen Orte!
Nach diesem Morgenessen waren wir ganz erschlagen von den vielen Eindrucken, wir mussten das Erlebte beim Weiterfahren erst mal verdauen. Der heutige Tag wurde zu einem richtigen "Schlosstag". Wir hatten auf der Karte gesehen, dass es hier nur so wimmelt von Schlossern, Burgen und Herrenhausern. Fur den Weg nach B. zu Madame D. legten wir uns eine Route zurecht, die bei moglichst vielen Schlossern vorbeifuhrt. Anstatt der 26 km ergaben sich bis am Abend 68 km, wobei wir an 24 Schlossern vorbeikamen! Einige konnten wir aber nur von Weitem durch die Baume des Schlossparks erspahen, was es aber nicht minder spannend macht. Die Kronung des Tages war das "Maison" von Madame D., ein Schloss aus dem 14. Jahrhundert! In den ehemaligen Stallgebauden hatte sie einige Ferienwohnungen eingerichtet. Da zur Zeit keine Gaste da waren, durften wir in ein kleines, luxurioses Hauschen einzeihen und einige Tage "Ferien" machen.

Posted by tandem-adventure at 3:51 PM BST
Updated: Friday, 10 June 2005 4:04 PM BST
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