Wir verliessen das Stadtchen Brioude und tauchten wieder ein in die strahlende Farbenpracht von bluhenden Baumen, Magerwiesen, Weizenfeldern mit Mohnblumen, gelben Rapsfeldern und uber allem der tiefblaue Himmel mit weissen Quellwolken. In der weiten Ebene passierten wir charmante Dorfer, Burgruinen, Schlosser und kleine Bahnwarterhauschen.
Wir picknickten in einer Wiese mit Blick auf Ruine Lanau und beobachteten die schnell in die Hohe wachsenden Quellwolken. Zwei grosse Feldhasen kamen angehoppelt, machten wenige Schritte vor uns erschrocken Halt und flitzten davon. Vorbei am Marchenschloss Torsiac kurvten wir runter zum Fluss Allagnon. Ab und zu tropfte es etwas aus den Blumenkohlwolken, dazwischen stach die heisse Sonne nieder. Wir stiegen kontinuierlich an Richtung "Cezallier". Ardes war ein faszinierendes Stadtchen, der stattliche Kern mit grossen Hausern und verblassten Schriftzugen aus alter Zeit wirkte wie eine Filmkulisse. Die Zeit schien hier seit langem stehengeblieben zu sein. Wir erfuhren spater, dass diese Stadt wie andere auch wahrend des 2. Weltkrieges durch die gefallenen Soldaten stark entvolkert wurde und sich davon nie mehr erholte. Durch das Vallee de Rentieres stiegen wir weiter in die Hohe. Das Tal war eigentlich mehr eine Schlucht, oft hatte nur die schmale Strasse und der Fluss im Talgrund Platz. Wir fuhren durch dichte Walder und dem klaren, rauschenden Fluss entlang. Standig hielten wir nun Ausschau nach einem geeigneten Platzchen fur das Zelt, aber auf den wenigen Weiden war das Gras zu hoch, am Fluss war es zu sumpfig, im Wald nirgends flach. Immer wieder hielten wir an und kundschafteten zu Fuss mogliche Platze aus, aber ohne Erfolg. Es war zwar schon Abend, aber die Beine liefen rund und so stiegen wir immer weiter empor in der waldigen Schlucht. Weiter oben gewahrten uns Kurven einige schone Ausblicke - Walder soweit das Auge reichte, kein Dorf, kein Bauernhof, nur Baume. Wir waren wieder mal in der vollkommenen Abgeschiedenheit unterwegs und genossen es. Kurz vor St. Alyre-es-Montagne stand eine alte Frau vor einem Bauernhaus. Wir hielten an und plauderten ein wenig mit ihr. Ihre Mutter stammte aus Langnau i.E., die 79-jahrige rustige Frau wohnt ganz alleine mit ihrem Hund und ein paar Schafen hier. Sie fuhr nie Auto, der Backer bringt taglich frisches Brot und ihre Kinder versorgen sie einmal wochentlich mit Lebensmitteln. Unsere Hoffnung, das Zelt hier aufschlagen zu konnen, zerschlug sich wieder, waren doch auf der einzigen flachen Weide die Schafe am grasen. Obwohl es schon 19 Uhr war, strampelten wir zuversichtlich weiter bergan. Das waldige Tal, durch das wir nun zwei Stunden gekurbelt waren, ging plotzlich uber in eine offene, sehr "irisch" oder "schottisch" wirkende, karge Weidelandschaft, ein verbluffender Wechsel des Landschaftbildes. Der Bauer beim Dorfeingang verwies uns zu demjenigen am Dorfausgang, weil er uberall Tiere in den Weiden habe. Beim andern Bauernhof war nur der Grossvater zuhause. Er meinte, wahrscheinlich habe der Sohn schon nichts dagegen, wenn wir das Zelt kurz nach dem Dorf neben dem Stall aufstellen wurden. Dort erblickten wir oberhalb des Stalles eine romanische Kirche und ein altes Pfarrhaus. Just in dem Moment kamen von der Kirche her zwei rote Autos runter, wir hielten sie an und fragten, ob wir dort oben zelten durften. Es war schon 20 Uhr und wir sahen inzwischen mude und hungrig aus. Die weisshaarige Frau meinte, aber selbstverstandlich konnen wir das Zelt hinter dem Haus aufstellen und falls es regnet in der im Bau befindlichen Garage Schutz suchen. Sie fuhren davon und wir stiessen zufrieden das Tandem die steile Zufahrt hoch. Die alte Kirche stand majestatisch auf einem Hugel und bildete zusammen mit Pfarrhaus und Friedhof eine eigenstandige, vom Dorf ein Stuck entfernte Baugruppe. Einen schoneren und ruhigeren Zeltplatz hatten wir uns nicht ertraumen konnen. Bei einem Sonnenuntergang in allen Rosafarbtonen kochten wir das Nachtessen, unsere Blicke schweiften weit in die so eigenartige und uberwaltigende Umgebung. Als es eindunkelte, schwirrten Fledermause um den Kirchturm. Wir verbrachten eine Nacht, in der wir kein einziges Gerausch vernahmen.
Am Morgen lag eine dicke Nebelsuppe uber den Bergen. Der sowieso schon spezielle Ort wirkte dadurch noch mystischer. Als wir schon fast fertig zusammengepackt hatten, kam die Hauseigentumerin mit zwei jungen Mannern an. Sie lud uns gleich zu einem Kaffee in die Kuche ein, machte Feuer im Kamin und entschuldigte sich, dass sie gestern abend nicht daran gedacht hatte, uns den Schlussel zum Haus zu geben. Auch wenn sich dieses in Renovation befindet, hatten wir doch irgenwo im oberen Stock auf einem Fussboden schlafen konnen. Fur uns war das aber kein Problem, hatten wir doch einen perfekten Zeltplatz. Ob wir denn schon ein Programm hatten fur heute oder einen Ruhetag einlegen und nachste Nacht in einem Bett schlafen, duschen, Kleider waschen und mit ihnen essen mochten? Ueber soviel Gastfreundschaft waren wir ganz verblufft und nahmen das Angebot gerne an. Madame D. zeigte uns das Haus und erzahlte dessen Geschichte. Sie hatte das ehemalige Pfarrhaus vor sechs Jahren gekauft, es war vom vorherigen Eigentumer laienhaft renoviert und spater dem Zerfall uberlassen worden. Fur einen Spottpreis konnte sie das ruinose Gebaude erstehen und ist nun daran, dieses fachgerecht zu restaurieren und als Ferienhaus herzurichten. Dass die Frau ein erfahrener "Profi" ist, sah man gleich an den bisher erfolgten Arbeiten. Beispielsweise wurde das Eternitdach entfernt und durch ein althergebrachtes Schieferdach wie auf der Kirche nebenan ersetzt. Alle Renovationsarbeiten erfolgen mit viel Sinn fur Stil und Berucksichtigung denkmalpflegerischer Aspekte. Wie alle Jahre ist sie zur Zeit fur einige Wochen hier um mit Hilfe ihres Gartners und dessen Bruder weiterzuarbeiten. Da das Haus noch nicht bewohnbar ist, haben sie im Nachbardorf Jassy ein Ferienhaus gemietet, und da war eben noch ein Zimmer frei fur uns! Aber vorerst wollten wir noch nicht nach Jassy fahren, sondern diesen tollen Ort noch etwas geniessen. In der Kuche warmten wir uns am Kaminfeuer, assen mit dem "Bautrupp" Zmittag und machten einen Spaziergang uber die Hugel und Schafweiden hinter der Kirche. Die Landschaft war einfach phanomenal, diese karge Weite, die so ganz anders ist als das restliche Frankreich. Kirche und Pfarrhaus hatten auf uns eine ganz besondere Ausstrahlung, wie wenn dieser Platz ein mystischer "Kraftort" ware. Dass die Kirche soweit entfernt vom Ort und an einer untypischen, wetterausgesetzten Lage erstellt wurde, deutet darauf hin, dass dieser Ort vielleicht schon seit Urzeiten eine Kultstatte war. Am Nachmittag genossen wir in Jassy den Luxus eines geheizten Hauses und einer Dusche und wuschen alle unsere Kleider. Eine Erkundungstour fuhrte uns, vorbei an ganzen Weiden voller gelber Osterglocken, zu einem kleinen Bergsee. Anschliessend zog es uns nochmals zuruck nach St. Alyre-es-Montagnes. Wir wollten der Kirche und dem Pfarrhaus nochmals einen Besuch abstatten. In Jassy verbrachten wir alle zusammen einen sehr lustigen und unterhaltsamen Abend. Madame D. meinte, falls ihr Wohort in der Nahe von Chateaurox an unserer Route liegen wurde, waren wir herzlich willkommen und konnten dort ein paar Tage "Ferien" machen. Wir nahmen mal unsere Frankreichkarte hervor und sahen, dass das ganz in der anderen Richtung lag und wir dafur weit nach Westen Richtung Atlantik fahren mussten. Die aufgestellte und quirlige alte Dame hatte es uns aber angetan. Die Routentips, die sie uns fur den Weg zu ihr gegeben hatte, versprachen einen Abstecher durch einen wunderschonen Teil Frankreichs zu werden. So stand fur uns bald fest, dass unsere Route wieder mal einen Knick erhalt - wir fahren nach Westen! Zum Gluck haben wir hier in Europa keine fixe Route oder Flugtermine mehr, vielmehr konnen wir es unserer Reise uberlassen, wohin sie uns tragt! Dass wir gestern abend genau in diesen Sekunden dort standen, als die beiden Autos von der Kirche runterkamen kann ja wohl kein "Zufall" sein. Der Ausloser fur einen sehr intensiven Abschnitt unserer Reise, wir wurden in den folgenden Wochen nur so uberhauft mit Erlebnissen, Begegnungen und schonsten Seiten Frankreichs. Als Madame D. uns zum Abschied ihre Adresse "Chateau xy" notierte, war uns klar, weshalb sie einen Gartner angestellt hatte...wir waren gespannt, was uns etwa in einer Woche im Tal der Creuse erwarten wurde.
Posted by tandem-adventure
at 3:36 PM BST
Updated: Friday, 10 June 2005 3:46 PM BST