Die Hinterradfelge wies ueber 20 kleine Risse bei den Speichenloechern auf. Vielleicht haette sie noch ueber 1000 km gehalten, vielleicht nur noch ein paar wenige, beide Faelle hatten wir in Neuseeland erlebt. Eine Spezialfelge fuer 48 Speichen im Elsass aufzutreiben waere ein aussichtsloses Unterfangen gewesen, geschweige denn einen Fachmann zu finden, der ein Rad bauen kann. Also musste die Nabe irgendwie nach Hochdorf im Kanton Luzern gelangen, damit unser Tandemspezialist eine neue Felge aufziehen kann.
Wir waren ja in den Vogesen nicht mehr weit von der Schweiz entfernt. Die verfruehte Rueckkehr wegen dieses Defekts waere fuer uns undenkbar gewesen. Wir wollten noch durch Sueddeutschland weiterfahren und dann von Osten her die Schweizer Grenze ueberqueren. An dieser Route wollten wir festhalten, wir waeren mental auch noch gar nicht bereit gewesen, ploetzlich in die Schweiz zu kommen. Nicht dass wir uns nicht auf die Schweiz freuen wuerden, im Gegenteil! Wir freuen uns riesig darauf, zum Abschluss der Reise eine "Tour de Suisse" zu fahren, unser schoenes Heimatland zu geniessen und unsere Familien und Freunde wiederzusehen. Aber nach ueber einem Jahr "auf Achse" darf dieser Schritt nicht ueberstuerzt erfolgen.
So telefonierten wir hin und her und nach einer schlaflosen Nacht entschieden wir uns fuer die naheliegendste, wenn auch fuer uns nicht einfachste Loesung, einen Abstecher in die Schweiz zu machen. Wir hofften, das Rad halte noch bis Basel und pedalten auf direktestem Weg dorthin. Bei einer Kollegin fanden wir fuer zwei Naechte Unterschlupf. Richard fuhr per Bahn mit dem Hinterrad nach Hochdorf, wo Marc in verdienstvoller Weise die neue Felge einspeichte. Wir erzaehlten niemandem etwas von dieser "Nacht- und Nebelaktion" udn fuhren am naechsten Morgen gleich wieder weiter in den Schwarzwald, um unsere Route um die Schweiz fortzusetzen.
Lustig war die Frage im "Veloplus", wo wir einige defekte Ausruestungsgegenstaende ersetzten, ob wir denn "auch auf einem Faehrtli seien?" Der Verkaeufer war ein wenig sprachlos, als wir sagten, dass unser Faehrtli schon ein Jahr daure!
Es war ein bewegender Moment, als wir in Basel nach 12 Monaten und 13 Tagen am 15. Juni die Grenze zur Schweiz ueberquerten. Mental reisten wir aber noch nicht ein, das wird erst etwa in einem Monat folgen. Wir fuehlten uns wir Besucher, surreal wir in einem Film. Dass wir fuer die Rueckkehr noch nicht ganz bereit sind, zeigte sich, als Richard in der Migros Proviant fuer die Bahnfahrt nach Hochdorf kaufte und spaeter feststellen musste, dass er das Eingekaufte an der Kasse liegengelassen hatte...
Die kurzfristige Rueckkehr in das normale Leben war ein kleiner Schock. Wir haben nun ein Jahr lang in der "Natur-Tierli-Bluemli-Welt" gelebt. Auch wenn wir immer ausgefuellte Tage hatten, kannten wir etwas nicht, naemlich Stress. Hier sahen wir nun ueberall gestresste Menschen, die gehetzt zur Arbeit eilten, Radfahrer die ohne Gruss vorueberflitzten. Das Leben hatte ein Tempo, das wir gar nicht mehr gewohnt sind.
Geldverdienen ist der Tagesinhalt. Das muss so sein, das Geld rinnt ja nur so durch die Finger. Was da wieder alles auf uns zukommt! Wir haben auf unserer Reise gelernt, mit einem sehr kleinen Budget zurechtzukommen. Wir haben im Supermarkt jeden Rappen umgedreht und dennoch gut gelebt. Und wenn wir nach Hause kommen kostet das Leben gleich wieder das x-Fache - erschreckend! In unserer Konsumgesellschaft "muss" man dies und das haben, aber ist auch alles lebensnotwendig? Sind wir dadurch wirklich gluecklicher?
Eine Flut von Information und Werbung prasselte ploetzlich wieder auf uns ein. Wir haben in diesem Jahr gerademal mitbekommen, dass es eine Tsunami-Katastrophe gab, Bush wiedergewaehlt wurde und der Papst gestorben ist. Das war's, mehr haben wir nicht erfahren! Und hier halten wir wieder einmal eine Zeitung in der Hand. Eine negative Schlagzeile jagt die naechste. Besteht die Welt nur aus schlechten Nachrichten?
Ueberall Werbung, an jeder Ecke. Die Flut von Propaganda erschlaegt uns fast. Haben wir frueher an all dem einfach vorbeigeschaut? Bald wird uns dies auch nicht mehr auffallen, werden wir uns wieder unbemerkt berieseln lassen von der allgegenwaertigen Werbung. Und vom Laerm. Auch dies faellt uns extrem auf. Dieser permamente Laermpegel ermuedet uns sehr schnell.
Es macht uns ein wenig Angst, dass wir in sieben Wochen zu Hause sind und uns wieder in diese Welt einleben muessen. Dennoch sind wir zuversichtlich und voller Tatendrang!
Posted by tandem-adventure
at 10:17 AM BST
Updated: Friday, 24 June 2005 10:38 AM BST